Das Flirren ist im Raum fast körperlich spürbar. Linien umfangen den Rezipienten beim Betrachten der Objekte. Perspektiven verschieben sich, springen hin und her. Dabei liegt das Objekt ganz ruhig vor dem Betrachter. Einzig die Unruhe im Auge des Betrachters erzeugt diese Dynamik.

„Zeichnungen im Raum“ nennt Janusz Grün­spek seine seit 2009 entstehenden Arbeiten, und diese Bezeichnung veranschaulicht die Darstellung der Objekte. Die aus Holzstäbchen mit einer glatten Oberfläche nachgebaute Wirklichkeit ermöglicht den eigenen Zugang zu den uns umgebenden alltäglichen Dingen neu. Es werden die Konstruktionen von Gegenständen in ihren Konturen gezeigt. Es entstehen dreidimensionale Objekte, die einen starken Raumbezug haben. Raum und Raumbegriff werden neu durchdacht. Das primär auf der Linie beruhende künstlerische Medium schafft durch seinen künstlerischen Impuls ein visuelles Erlebniselement.

Janusz Grünspek ist ein genauer Beobachter und durch und durch ein Zeichner, verliebt auch in das kleinste Detail. Das spürt man sowohl bei seinen Objekten als auch bei seinen Zeichnungen. Die Motive entstammen der Ästhetik der Konsumgesellschaft. Grünspek versucht die Grenzen zwischen Kunst und Kommerz auszuloten und verführt den Betrachter zu neuen Blicken auf die Dinge. Er spielt mit der skulpturalen Zartheit, der Leichtigkeit und der Raumwirkung durch förmlich entmaterialisierte Gegenstände. Die äußere Umrandung wird wiedergegeben – das Innere bleibt unsichtbar, aber nicht sinnentleert. Dadurch kommt es im Auge des Betrachters zu den beschriebenen Irritationen. Kommt die Ecke uns entgegen? Entfernt sie sich von uns? In Bruchteilen einer Sekunde gibt unser Auge diese ratlosen Informationen an unser Hirn. Dies wiederum suggeriert uns einen flirrenden, hin- und herspringenden Eindruck, wie er in gleißendem Sonnenlicht entsteht, wenn man durch Baumreihen fährt.

Es bleibt ein Staunen, das weit über das Er­staunen über die Fingerfertigkeit und die Präzision hinausgeht. Reduktion auf die Linie als Konzept für die Beschreibung un­seres Lebensraumes. Die hier gezeigten Ar­beiten gehen über das Objekt hinaus in den Bereich der Installation, indem die Grenze zwischen Werk, Betrachter und Umfeld aufgelöst wird. Die Installation – immer auch Skulptur bleibend – steht zum jeweiligen umgebenden Raum in Abhängigkeit. Darüber hinaus ist die Art und Weise, wie die Betrachter ihre Eindrücke von der Installation gewinnen, zeit- und bewegungsabhängig.

Wie Vektoren beschreiben die Linien einen Raum. Nur durch die Beziehung zu anderen Linien lässt sich im Kontext zum Beispiel ein Bilderrahmen erkennen. Welche Linie ermöglicht uns zweifelsfrei, den Zollstock zu sehen? Was macht es in unserem Kulturkreis aus, dass ein Zollstock ein Zollstock ist? Es ist erstaunlich, dass es weder Farbe noch Inhalt bedarf, damit wir die Dinge zuordnen können. Der Archetypus eines Zollstocks? Anscheinend ist unsere Zivilisation und mit ihr unsere Wahrnehmung von Linien und Zeichnungen geprägt. Wie in der paläolischen Kunst, den Höhlenmalereien unserer steinzeitlichen Vorfahren, in der ein paar wenige Striche genügten, um zu dem Bildnis eines Rindes zu gelangen, genügen uns ebenso wenige Striche zur Beschreibung der uns umgebenden Gegenstände. Damals wie heute scheint die Verständigung auf Archetypen den gleichen einfachen Mustern zu folgen.

Einen ähnlichen Umgang mit der Reproduzierbarkeit der alltäglichen Gegenstände, wie wir ihn bei Janusz Grünspek antreffen, finden wir auch in den Arbeiten von Andy Warhol. So werden bei der 32-teiligen Serie der Campbell’s Soup aus 1962 (8 Jahre vor der Geburt von Janusz Grünspek) alltägliche, gegenwärtige und vertraute Motive neu zusammengesetzt. Dies spiegelt sich in den „Zeichnungen im Raum“ – gleichgültig, ob es die Espressomaschine, die Kamera oder der Hammer ist. Die Wirkungsästhetik einer solchen künstlerischen Arbeit kommt filigran daher. Raumtiefe wird nicht durch Verzicht auf die Orthogonalen und unter Verschiebung des zentralen Fluchtpunktes herbeigeführt. Der rechte Winkel bleibt erhalten. Die Verschiebung findet ausschließlich in unserem Auge statt, da es eine reale Raumübertragung gibt.

Anders aber als bei Warhol, der nicht eigenhändig jedes ihm zugeschriebene Kunstwerk schuf, schafft Janusz Grünspek Unikate und kleine, nummerierte Auflagen – alle aufwändig signiert. Das gilt auch für die aufgelegten kleinen Editionen, wie der „Hammer“, der in einer Auflage von 20 Stück entstanden ist und in seiner Umverpackung zu einem liebevoll gestalteten Gesamtkunstwerk wird.

Durch die Transformation der Zeichnung in die dritte Dimension unter Weglassung der Farbe entsteht eine greifbare Zeichnung. Aber am Greifen wird der Rezipient – wie so oft – auch in dieser Ausstellung gehindert.

 

Sabrina Buchholz