Sabine Thatje-Körber setzt sich in ihren Arbeiten mit abstrakter Malerei auseinander. In ihrem bisherigen Schaffen hat sie, neben anderen Werken und Zyklen, an drei Werkserien zu Physis gearbeitet. Gezeigt werden nun ausgewählte Arbeiten, die dem letzten Zyklus entstammen.
Was bezeichnet der Begriff Physis? Der Begriff stammt aus dem Griechischen und wird theologisch, philosophisch und wissenschaftlich besetzt.1 Zum einen bezeichnet dieser Begriff „die Natur, das Reale, Wirkliche, Gewachsene, Erfahrbare im Gegensatz zum Unerfahrbaren der Metaphysik.“
Zum anderen beschreibt er auch „natürliche“ bzw. „körperliche Beschaffenheiten“.2
In dieser Definition klingen bereits die Themen an, mit denen sich die Künstlerin in ihren Werkserien auseinandersetzt: Die Natur und ihre Beschaffenheit(en), Wachstum und Vergänglichkeit.
Sabine Thatje-Körber beginnt die Arbeiten der Serie Physis 3 damit, den Bildern eine horizontale Linie zu geben, an der sich ein durchaus sehr komplexer Prozess der Bildbearbeitung beschreiben lässt.
Schaut sich der Betrachter die Bilder zunächst aus unmittelbarer Nähe an, so ist schnell festzustellen, dass die Bilder etlichen Farbüberlagerungen ausgesetzt sind. Die Künstlerin trägt die pastose Ölfarbe wiederholt auf, kratzt sie ab und trägt sie wieder auf. Entgegen jeglichen akademischen Regeln spielt bei Sabine Thatje-Körber sowohl der Zufall, als auch das Gefühl eine große Rolle.
Ihr Kunststil kann also durchaus der Art Informel (dt. Informelle Kunst) zugeordnet werden, eine „Sammelbezeichnung für eine abstrakte Kunstrichtung, die sich um 1945 in Paris formierte […]. Feste Kompositionsregeln wurden abgelehnt, durch frei erfundene Zeichen oder durch spontane Rhythmik von Farbflecken und Linien versuchte man, geistige Impulse unmittelbar auszudrücken.“3 Die Künstlerin liebt den Moment des Unvorhersehbaren und evoziert gerne ein Überraschungsmoment. Sie betreibt regelrecht einen kalkulierten Zufall.
Der Prozess der Bildbearbeitung zeichnet sich zudem auch durch ein Überlegen und Abwägen aus, zum Beispiel durch das Changieren der Struktur. Die Farboberflächen erscheinen alles andere als glatt, vielmehr zeichnen sie sich durch ihre raue, teilweise zerrissene und aufgesprungene Beschaffenheit aus. Hier und da geben Durchblicke dem Betrachter die Möglichkeit, unter die Oberfläche zu schauen und regen ihn an, sich mit dem darunterliegenden Material auseinanderzusetzen, womöglich auch tiefer in die Materie einzudringen.
Die Wahl der Farben erfolgt intuitiv durch die Künstlerin. Nicht festgelegt auf Ölfarbe oder Acryl, werden auch Erden, Sande, Metalle und Pigmente Bestandteile der aufgetragenen Farben, die dadurch eine eigene Körperlichkeit erfahren. Was die Farbbeschaffenheit angeht, so lässt sie sich durch die Oxidation der eingesetzten Metalle erklären. Sabine Thatje-Körber überlässt ihre Bilder in einigen Bereichen quasi dem natürlichen Zufall der Farbveränderung. Gleichzeitig weiß sie um die Existenz des Zufalls und integriert ihn in ihren Bildbearbeitungsprozess. Der Zufall wird somit planbar.
Was einerseits als natürliche Entstehung durch Oxidation erscheint, wird anderseits zum gewollten Prozess mit nicht endgültig vorhersehbarem Ergebnis. Auf die Entstehung folgt Zerstörung. Wachstum geht einher mit Vergänglichkeit.
Werden die Bilder hingegen mit etwas Abstand gesehen, entstehen beim Betrachter Assoziationen von Landschaften oder Erosionen, die zerstörend und friedlich zugleich wirken. Teils werden sie im Gesamten, teils nur als Ausschnitt wahrgenommen, doch sind sie immer am Horizont zu verorten. Trotz der Mächtigkeit des Farbeinsatzes entsteht durch die behutsam gewählten Farbnuancen eine fast poetische Leichtigkeit der Szenerie.
Rachel Gerczikow
1
Die Entwicklung ist auch in der kunstwissenschaftliche Forschung wieder aufgegriffen worden: Hirschfelder Dagmar, 2008 Wikipedia „Physis“; Stand: 4. Oktober 20142
Günther Drosdowski u. a. (Hrsg.): Duden. Das Fremdwörterbuch, 4. neu bearb. u. erw. Aufl., Bd. 5, Mannheim, Wien u. Zürich: Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG 1982, S. 593; Stichwort Physis.
3
Lucie-Smith, Edward: DuMonts Lexikon der Bildenden Kunst, 2. Aufl., Köln: DuMont 1997, S. 130.