Wer meint zu wissen, wie Getreidefelder aussehen – wer meint, Getreidesorten auseinander halten zu können, der hat noch nicht die Bilder von Lore Unger betrachtet.

In ihren Arbeiten zeigt Lore Unger z. B. den Blick direkt auf ein Weizenfeld, besser in das Feld, in dem die wogenden Ähren, zugleich die Halme und die Erdkrume zu sehen sind, fast zeichnerisch im Detail gemalt. Man glaubt den Wind zu sehen, der durch das Getreide streicht, die Sonne, die goldene Reflexe zaubert. Kraftvoll und zart malt Lore Unger in ihren Gouachen gleichsam die ganze Schöpfung, den Kreislauf von der Aussaat bis zur Ernte. Es ist diese jeweilige Stimmung, die das Herausragende, das „mehr“ ausmachen. 

Ob Bilder von Getreidefeldern oder Bilder von Baumrinden, Baumstämmen, immer  geht Lore Unger diszipliniert und voller Tatendrang ans Malen. Durchdrungen von Lebensfreude und Lebenskraft entstehen die Arbeiten in und nach der Natur, wie mit angehaltenem Atem. Es ist nicht der Schmerz der Welt und keine Schönfärberei, sondern Hoffnung und die Schönheit, die es auszuhalten und zu erhalten gilt. Der Betrachter sieht seine eigenen inneren Bilder der Erinnerung, in Beständigkeit und Veränderung.

Es sind wenige Sujets, denen sich Lore Unger zuwendet. Aber immer wieder besticht ihr kräftiger Duktus, mit dem sie in leuchtenden und zugleich zarten Farben die Vielschichtigkeit ihres Themas zeigt.

 

Hans-Werner Herbst (†)