Hinter all den kollektiven und Privatmythen, die Gert Fabritius schildert, steht der Mensch, der um die Absurdität seines Daseins weiß und doch fest daran glaubt, dass die „Mission Leben“ gelingen kann. Es gelingt Gert Fabritius, die Allegorie vom Triumph des Todes über das menschliche Leben allgemeingültig fortzuführen und in die Gegenwart zu übertragen. Inbegriff des Menschen Fabritiusscher Prägung ist Sisyphos, dessen Schicksal es ist, einen Stein so erfolg- wie gnadenlos den Berg hinaufzurollen. Wie Albert Camus’ Mythenfigur schlägt auch dieser Sisyphos dem Tod ein Schnippchen und „macht aus dem Schicksal eine menschliche Angelegenheit“.

 

Sisyphos ist es auch, der als Mittelsmann zwischen christlicher und antiker Bildlichkeit agiert, der im einen Augenblick als schelmischer Bestienbezwinger dem im Labyrinth des Denkens gefangenen Minotaurus seine Bruderschaft anträgt, und sich im anderen Augenblick als aufmüpfiger Todeslästerer in einem Stuhl, Thron, kurzum in diese mannigfaltig-aufrührerische Verkörperung des Bleibenwollens und Beharrens transformiert. Er ist es, der die Arche, und nicht nur die, zu einem immer wiederkehrenden Scheitern geleitet. Sisyphos verkörpert im Werk Gert Fabritius’ das vergebliche menschliche Tun mit erhobenem Haupte, ganz im Sinne des modernen Interpreten Camus, der den Sisyphos Mythos zum Fanal des Absurden gemacht hat. In der „täglichen Anstrengung“, so der Philosoph, „in der sich Geist und Leidenschaft mischen und gegenseitig steigern, entdeckt der absurde Mensch eine Zucht, die das Wesentliche seiner Kräfte ausmacht. Der Fleiß, den er dazu braucht, der Eigensinn und der Scharfblick vereinigen sich so mit der Haltung des Eroberers. Auch Schaffen heißt: Seinem Schicksal Gestalt geben.“Im Mythos sind sich die beiden, das stierige Biest und der Steineträger, nie begegnet. Doch offensichtlich haben sie sich im Alltag kennen gelernt, den Gert Fabritius ihnen bereitet hat. Oder war es schon Camus gewesen? In seinem Essay Minotaurus widmet sich der Philosoph auch dem Stiermenschen - und den Steinen. „Die Unschuld“, heißt es da, „braucht den Sand und die Steine. Und der Mensch hat verlernt, in ihrer Mitte zu leben… Bejahen wir den Stein, wenn es sein muss.

 

Die „unnütze und aussichtlose Arbeit“, einen Stein den Berg hoch zu wuchten, der immer wieder hinunter rollt, wird bei Camus und Fabritius zur bewussten, freudvollen Auflehnung gegen jegliche göttliche Vorsehung.  

 

Günter Baumann (aus: Gert Fabritius – Arche und Tod)