Helle Bang ist eine dänische Künstlerin, deren ursprüngliche Beschäftigung in der Malerei verortet ist. Ihre Bilder lösen Erinnerungen an Landschaftsmalerei aus – eine Gattung, welche zu Beginn des 19ten Jahrhunderts dank inspirierender Vorbilder aus den Nachbarländern der dänischen Kunst einen neuen Anstoß schenkte und sehr mit Dänemark verbunden wird.

Allerdings ist Helle Bang darüber hinaus Bildhauerin. Unter der Anleitung des dänischen Künstlers Dick Nyhuss fand sie zur Skulptur. Oftmals handelt es sich um figurative, dabei meist weibliche Figuren mit Spiegeln als Gesichter. Bereits auf solchen Skulpturen macht sich das Gespür der Malerin für Oberflächen, welches in der Skulptur seinen Ausdruck findet, bemerkbar. Weitaus stärker tritt die Beeinflussung von Malerei und Bildhauerei in den nicht gegenständlichen Skulpturen zu Tage.

Helle Bang wurde 1947 auf der Insel Mors geboren. Rund 2 Stunden entfernt liegt ihre Studio- und Heimatanschrift in Skanderborg, unweit von Aarhus im Norden und Horsens im Süden. Dort, in Aarhus, besuchte sie die Kunstakademie von 1993 bis 1997. Es folgten verschiedene von einer Jury prämierte Ausstellungsbeiträge, Beteiligungen an der ART Kopenhagen und der ART Herning sowie diverse Ausstellungen in dänischen Galerien von Rang und dem Frederikshavn Kunstmuseum og Exlibrissamling.

Auch wenn bereits in der Schule davor gewarnt wird, den Erzähler und den Autor nicht zu verwechseln oder gar gleichzusetzen und ebendieses übertragen freilich auch für die Kunst gilt, ziehen die Bilder und Skulpturen der Künstlerin den Rezipienten in ihre Welt. Beides, sowohl Malerei als auch Bildhauerei sind ein Ausdruck der Imagination bei Helle Bang und führen deswegen zu einer sich gegenseitig befruchtenden Symbiose.

Es entstehen gewaltige Bildwelten in meinem Kopf: Ich bin im Osten Jütlands. Auf der dritthöchsten natürlichen Erhebung Dänemarks Ejer Bavnehøj bei Skanderborg. Ich bin westlich in den Himmelbjerget westlich der Gemeinde Skanderborg. Von hier genieße ich einen wunderschönen Ausblick auf den See Julsø. Ich bin in der Nachbargemeinde Horsens und befinde mich auf dem Yding Skovhøj. Wegen eines Grabhügels aus der Bronzezeit auf der Kuppe gilt diese Erhebung als höchste Dänemarks. Das in der Nähe von Skanderborg gelegene Auental Illerup Ådal ist ein Opferplatz aus der Vorzeit. Zusammen mit den Runensteinen und der Kirche von Jelling gehört der Opferplatz zu dem UNESCO Weltkulturerbe.

Ich bin auf der Insel Mors, eine Insel im Limfjord im nördlichen Jütland. Ich stehe vor einem hohen Felsen aus Moler. Die Molervorkommen auf Mors entstanden vor etwa 55 Millionen Jahren und gelten als Naturdenkmal.

Sowohl das Sedimentgestein als auch der Grabhügel erzählen eindringlich von dem Volk der Dänen, welches im 6. Jahrhundert aus Schonen nach Jütland und auf die westlichen Ostseeinseln gekommen sein soll, wo es andere germanische Stämme verdrängte. Ich sehe mich mit etwas Ursprünglichem, Elementärem und Kraftvollem konfrontiert. Ich spüre nicht vollständig aus mir erwachsene Bilder.

Es ist nicht verwunderlich, dass Reliefspuren des Molers sich in den abstrakten Skulpturen von Helle Bang wiederfinden, ebenso wie die eindrucksvolle Kraft der Urzeit in den Gemälden von ihr.

Imagination wird häufig missverständlich gebraucht, da Imagination synonym mit Einbildung(skraft) und somit eine psychologische Fähigkeit ist. Losgelöst vom Körper sucht der Geist in Gedanken Abstand zur gegenwärtigen Situation und widmet sich stattdessen eigens produzierten, inneren, mentalen Bildern.

Deswegen beschreibt der britische Philosoph Robin George Collingwood in seinem Buch „The Principles of Art“ die Intuition der Kunst als pure Imagination. Laut Collingwood besteht eine enge Verbindung zwischen Kunst und Bewusstsein. Die ursprüngliche Intuition des Künstlers, das eigentliche Werk, wird demnach erst durch den Rezipienten wieder fassbar. Die vom Rezipienten wahrgenommenen Bilder produzieren in ihm psychische Erfahrungen, welche durch den aktiven Akt des Bewusstseins, der Aufnahme und Wahrnehmung des Kunstwerks in eine imaginative Erfahrung verwandeln werden, die sich wiederum mit der des Künstlers deckt. Somit kommt Kunst ein transformativer – vom Künstler zum Rezipienten –, ein prozessualer – der aktive Weg der bewussten Wahrnehmung – und ein erkenntnisbringender – die Intuition des Künstlers – Charakter zu. Erfahrung und Werk sind somit untrennbar verbunden.

Im Angesicht eines Kunstwerkes tritt der Rezipient aufgrund seiner Aktivität über die bloße Betrachtung hinaus und betritt die Sphären der Imagination, in der weitere Bilder darauf lauern zu entführen. Ebendies vermögen die Werke von Helle Bang.

 

Vera Meier