Die Malerin Annette Zumkley hat einen unverwechselbaren Duktus in ihren abstrakten Arbeiten. Schwingende Farben fallen dem flüchtigen Betrachter auf, wirken rapportartig und dekorativ, vermitteln einen seriellen Anschein. Dies hält aber nur auf den flüchtigen ersten Blick stand. Bei näherem Betrachten tauchen ganze Bildwelten auf, der Rezipient wird förmlich in die Bilder gesogen. Bei diesem Vertiefen werden Räume und Welten sichtbar, hervorgerufen durch gestische Pinselschwünge und Farbauftrag um Farbauftrag. Ist erst einmal das Interesse geweckt, geben diese verborgenen Schichten nach und nach ihre Geheimnisse preis und lassen einen individuellen Sinnzusammenhang erkennen. Es entstehen immer wieder neue Kosmen, die alle zu einem künstlerischen Zusammenhang gehören.

Dabei kommt dem Malprozess eine besondere Bedeutung bei. Die dünnflüssig grundiert und perfekt abgeschmirgelten Malgründe bieten den besonderen Boden, auf dem das Verfließen von Farben unterschiedlicher Viskosität gelingt. In dieses Verfließen greift die Künstlerin aktiv mit verschiedensten Mitteln ein und beeinflusst dabei den Farbverlauf maßgeblich. 

Diese übereinandergelegten Malschichten und der unterschiedliche Gestus des Farbauftrages erzeugen eine besondere, unverwechselbare Spur. Die Bilder erhalten einen eigenen Rhythmus durch Überlagerung transparenter aber auch deckender Farbschichten und erzeugen so raumgreifende Spannungsfelder. Dabei spielen  Farben und Formen eine absolut gleichberechtigte Rolle. Bestimmte Pinselschwünge wiederholen sich, bilden ornamentartige Fragmente, die sich nur durch die Farbgebung unterscheiden. In diesen sich nur durch die Farbstimmung unterscheidenden Variationen liegt ein ihr eigener, immanenter Rhythmus zugrunde, entstanden aus dem Kontext mit anderen Arbeiten.

Poetisch muten diese Bilder an, haben eine geradezu lyrische Ausstrahlung. Sie wollen nichts erklären, nichts erzählen, wollen einfach nur sein. Sie treffen uns in unserem Innersten oder lassen uns kalt. Ein dazwischen scheint es nicht zu geben. Die fließende Bildsprache strahlt positive Lebensfreude aus. Dabei ist, was so zufällig entstanden zu sein scheint, ein sehr bewusster und gewählter Malvorgang. Die Komposition setzt gleichmäßig verteilte Strukturen gegen verdichtete Strukturen. So entstehen tiefenräumliche Bildwelten, gespeist durch Transparenz und Verdichtung. Dies kann nur durch eine ausgereifte Fähigkeit zur Komposition, gepaart mit handwerklichen Fertigkeiten, gelingen.

In den Arbeiten von Annette Zumkley steht der Schaffensprozess gleichberechtigt neben dem fertigen Ergebnis. Keines hat den Vorrang, beides fügt sich zu einem Gesamtbild zusammen. Den teils großformatigen Leinwänden wohnt eine starke Stofflichkeit inne. Insbesondere diese großformatigen Arbeiten greifen in den Raum ein, da sich die gemalten Schwünge nicht auf das Bildformat zu begrenzen scheinen und durchfluten ihn mit ihrem eigenen Rhythmus.

Dieser Prozess der Bildentstehung, geprägt vom Zufall und vom Experiment, ist der Künstlerin besonders wichtig. Dabei verrät der „zufällige“ Verlauf gerade die dahinter stehende Könnerschaft und die lange Auseinandersetzung sowohl mit den inhaltlichen als auch den formalen Aspekten. Annette Zumkley nimmt sich in diesem Schaffensprozessen ganz zurück und überlässt es den gewählten Materialien, ihre eigenen Strukturen zu wählen.

Ganz im Sinne des Tachismus folgt die Malerin einer freien assoziativen Phantasie. Es entstehen Bilder in einem gestischen Prozess, wobei die Leinwand liegend bearbeitet wird. Diese dem abstrakten Expressionismus zugewandte Malweise wurde als Stilrichtung gegen 1950 in Paris und in den USA durch Wols und Pollock begründet. Sie ist, wie auch das Action-Painting, eine Unterform der informellen Malerei, in deren Vordergrund die künstlerische Spontanität steht. Es geht dabei um eine malerische und extrem subjektive Richtung, sie beinhaltet die nicht-geometrische, gegenstandslose Kunst. Das Schaffen aus dem Unterbewusstsein fördert und betont das Spontane in dem Malvorgang. Gestik und Textur sind weitere Merkmale. Der Tachismus charakterisiert eine abstrakte Malweise, bei der Farbe in Klecksen und Flecken aufgetragen wird. Bei Annette Zumkley geschieht dies in vielen Schichten, immer wieder unterbrochen von Trocknungsprozessen unterschiedlicher Dauer. So entsteht eine lasierende Tiefe voller Farbnuancen, in die der Betrachter Schicht für Schicht eintauchen kann. Durchdringende, sich durchwirkende Farbtöne beeinflussen sich gegenseitig. Sich wiederholende Motive geben einen Rhythmus vor, in dem sich der Rezipient verlieren kann. Trotz des seriellen Anscheins ist jedes Bild für sich ein eigenständiges, individuelles Werk. Was scheinbar völlig zufällig entsteht, nur dem inneren, unbewussten Gefühl und Ausdruck gehorchend, folgt doch malerischen Gesichtspunkten und ist komponiert. Annette Zumkley gelingt es intuitiv, Farbtöne und Farbanordnungen spontan zu wählen und zu setzen. So beinhaltet die Bildkomposition eben auch Zufallskriterien.

In der gestischen Malerei von Annette Zumkley trägt der Duktus und somit der Akt des Malens wesentlich zur Bildaussage bei. Durch den Vorrang der gewählten Techniken wird der Anschein erweckt, als seien die definitiven Formen und die Gesetze der Komposition aufgehoben. Das macht ihre Malerei nicht eigentlich gegenstandslos, sie zeigt jedoch keine streng begrenzte, ausgeprägte Form, sondern eher allgemeine Strukturen, wie sie uns auch in der Natur begegnen. Die entstehenden Motive erinnern teils an Flechten, Pflanzen oder Kristalle.

Zwischen Tachismus, gestischer Malerei und lyrischer Abstraktion aber auch zwischen neuzeitlicher generativer Kunst oder Prozesskunst schafft Annette Zumkley eine grandiose Malerei, die auf unterschiedlichen Materialien, egal ob auf Leinwand oder Glas, aber auch in unterschiedlichen Größen gleichermaßen überwältigend daher kommt. Die von ihr gewählte Malweise ist charakterisiert durch eine großzügige malerische Gestik, die die poetischen, emotionalen Qualitäten von Farben betont. Es geht Annette Zumkley nicht darum, sich beim Malakt an der gegenständlichen Realität zu orientieren. Vielmehr nähert sie sich mit dem Malprozess einer Selbstaussage des Materials, der sie zur Sichtbarkeit verhilft. Dabei verzichtet sie auf pastose Farben, sondern wählt sehr verdünnte, liquide Farben. Die unterschiedliche Viskosität führt zu unterschiedlichen Strukturen, die Annette Zumkley immer wieder glättet. Was bleibt, ist eine Tiefe, die durch viele Farblagen aufgebaut ist. Die beim Betrachter hervorgerufenen vielfältigen Assoziationen sind dabei gewollt.

Gleichwohl experimentiert die Malerin gerne, auch mit dem Zufallsprinzip, um neue Sichtweisen zu erkunden. Dazu nutzt sie verschiedenste Untergründe aber auch Malmittel. Ihre persönliche Intention spielt in ihrem Werk eine untergeordnete Rolle. Ihre Bilder sprechen eine vernehmliche, allgemeingültige Sprache und öffnen sich dem interessierten Betrachter. Um aber tiefer in diese Bildsprache einzutauchen, bereitet das Wissen um den Entstehungsprozess einen zusätzlichen Genuss.

Sabrina Buchholz