Annette Zumkley erstellt abstrakte Bilder von seriellem Anschein und doch individuellen Eigenschaften. Diese werden vor allem durch die stark durchwirkten Struk­turen erzeugt, die sich durch die Arbeit der malenden Hand ergeben und die jeder Arbeit ihren besonderen Rhythmus verleihen. Das wohl augenfälligste Kenn­zeichen ihrer Arbeiten ist die ihnen innewohnende Textur, die einerseits ihre Bilder eint, andererseits ein jedes zum unverwechselbaren Einzelbild erhebt. Die Texturen ent­stehen durch die zahlreichen, immer wie­der übereinander gelegten Malschichten und durch den unterschiedlichen Gestus des Farb­auf­trags. Lange Trock­nungs­pro­zes­se begleiten diesen Malvorgang, der entgegen seinem tachistischen Duktus durchaus gesteuert und gezielt sein kann.

Lasierende Farbtöne durchdringen, ja durch­wirken sich gegenseitig und ein jeder Farb­ton wird durch seinen Nachbarfarbton be­einflusst. Hierbei können die Farben durchaus hart nebeneinander liegen. Alle Farben werden gleichermaßen verwendet, doch schließlich darf sich nach einem Findungs­prozess ein besonderer Farbton durchsetzen und dominant den Charakter des Bildes bestimmen.

Während bei vielen anderen Malern bisweilen unterschieden werden kann, ob die Farbe oder die Form den bedeutenderen Bildanteil hat, so lässt sich dies bei Annette Zumkley nicht eindeutig feststellen. Auf den ersten Blick scheinen sich ihre Bilder nur durch die Farben, die Farbstimmungen und die von ihr kombinierten Farbtöne zu un­ter­­scheiden, so dass wir ein mehr ins Rot reichende Bild vor uns haben oder eben ein mehr ins Gelb gehende Bild. Gewiss sind auch dies wichtige Unterscheidungs­krit­e­rien, doch mir scheint der gewählte Mal­duk­tus ein viel bedeutenderes Charakte­ris­ti­kum zu sein, mit dem sie viel sublimer den besonderen Eigenwert eines jeden Bil­des bestimmt.

So finden wir in ihren Ar­bei­ten gleichmäßig verteilte Strukturen ebenso wie gezielt verdichtete Strukturen. Was auf den ersten Blick ein völliger freier und nur malerischen Aspekten gehorchender Mal­vorgang zu sein scheint, entpuppt sich als ein ge­steu­ert eingesetzter, um jedem Bild seine besondere Textur und dadurch seinen un­ver­wechselbaren Charakter zu verleihen. Ver­festigung von Strukturen und Offenheit derselben sind wichtige Gegen­satzpaare ihrer Bilder. Welcher Duktus in welchem Bild gewählt wird, entscheidet Annette Zumkley vor Ort, vor dem Bild, bei der Arbeit. Je nach Wahl der Strukturen im Bild entstehen unterschiedliche tiefenräumliche Bild­wir­kungen, die das Bild einerseits verdichten, ihm aber andererseits große Trans­parenz und sogar Durchlichtung verleihen. Auch dies sind wichtige Kenn­zeichen ihrer zum Teil sehr großformatigen Leinwände.

Diesen wohnt zugleich eine starke Stoff­lich­keit inne. Gerade von fern wirken die Bilder fast mehr gewebt als gemalt. Bis­wei­len treten auch floral anmutende Struk­tu­ren auf. Dies gilt insbesondere für Arbeiten mit starken Grün- bzw. Gelbanteilen. Die Wirkung ihrer Bilder möchte ich daher auch wie einen Blick in einen Dschungel bezeichnen: Genaues lässt sich auf den ersten Blick nur in der vordersten Bild­ebe­ne entziffern, wohl wissend, dass sich in den weiteren Bildtiefen ebenso Interes­san­tes, aber noch Verborgenes befindet, dass es noch zu entschlüsseln gilt.

Manche Arbeiten sind von einem regelrechten Farbenrausch geprägt. Auch dies trägt zum eigenständigen Charakter eines jeden Bildes bei und verleiht ihm seine Unverwechselbarkeit. Aber gerade wegen dieser Eigenständigkeit braucht jede Arbeit auch ihren eigenen Freiraum und eine Abgrenzung zu anderen Arbeiten. Bei Aus­stellungen will die Kombination der Bilder also wohl getroffen sein.

Die kleinformatigen Leinwände sind ge­prägt von freien, gestischen Strukturen. Oft besitzen sie zudem eine warme, erdige Far­big­keit. Sie wirken „gedankenverloren“ und fast mystisch, wie absichtslos entstanden, was natürlich so nicht stimmt. Ihre informellen Strukturen sind scheinbar völlig frei entstanden, doch selbstverständlich malerischen Gesichtspunkten gehorchend.

Annette Zumkley liebt durchaus das Ex­pe­ri­ment, um neue Bildergebnisse auszuloten. Da sich dies naturgemäß bei den Lein­wand­arbeiten schwieriger und aufwändiger ge­stal­tet, nutzt sie hierzu unterschiedliche Pa­piere, die mit Lack, Oel- oder Acrylfarben bemalt werden. Auch von hinten durchscheinende Farben werden in zahlreichen Malexperimenten ausgelotet und „getestet“. Grelle Farbtöne und luzide Farb­wir­kungen werden gegenübergestellt, formale Ord­nung und Reihung trifft auf beabsichtigte Un­ex­akt­heit. Vielfältig setzt sie runde oder ge­rundete Formen, auch Farbpunkte ein. Auf einigen Blättern sind die Punkte in Reihung gebracht und damit in eine gewisse Ord­nung. Hier spielt sie mit dem Ornament und der Ordnung einerseits und der Spannung der beabsichtigten Un­ex­akt­heit andererseits. Die Spanne zwischen in­ten­siver Durch­arbeitung und gefestigter Form einerseits und der lockeren Hand­habung des gestischen Malprozesses andererseits zeugt von großer malerischer Erfahrung.

Insgesamt sind die Bilder Annette Zum­kleys stets von positivem, lebensbejahendem Aus­druck. Ihre lichtdurchflutete Lebendig­keit ist ihre wichtigste Bild­aussage. Trotz der innewohnenden Dynamik entsteht aber nicht etwa Unruhe, sondern eine anregende, fließende Bildsprache, die den Be­trach­ter lange in den Bann zieht, weil sich eine jede Arbeit nicht auf den ersten Blick erschließt, sondern stets neue und andersartige Aussagen bereit hält. Jedes Bild besitzt seinen eigenen Kosmos und ist dennoch nur ein kleiner Ausschnitt größerer, künstlerischer Zusammenhänge.

Martin Gesing