(...)  Auf nicht wenigen seiner Bilder entzieht Hans-Georg Hofmann dem Betrachter den Horizont und stürzt ihn damit in eine gewisse Orientierungslosigkeit. Nicht umsonst empfiehlt man einem Seekranken, er solle seinen Blick fest auf die Horizontlinie richten, um den durch das Schwanken fester Bezugspunkte irritierten Körper zu besänftigen. Wer den Horizont aus dem Bild nimmt, streicht vielleicht noch nicht den Himmel in seiner doppelten Bedeutung, aber er rückt ihn aus dem Blickfeld.

 

Dazu könnte das strenge Quadrat-Format passen. Es unterstreicht nämlich nicht die Empfindung der Unendlichkeit, die durch eine seitliche Ausweitung gestützt würde, es neutralisiert diesen Aspekt eher. Dieses Format verweigert sich zugleich dem menschlichen Subjekt, indem es sich der Form des menschlichen Sehfeldes nicht anpasst. Wird hier dem ungeheuren Objekt ein kartesisches Koordinatensystem übergeworfen, um es – vermessen genug – zu vermessen? Wohl kaum. Hans-Georg Hofmann variiert nämlich nicht nur die Winkel, unter denen die Meeresoberfläche erscheint, sondern ständig auch den Abstand zum Objekt. Die einzelnen Quadrate lassen sich also in keiner Weise zu einem kartografierten See-Stück zusammensetzen. Während andere See-Bilder den Betrachter also mit der Unendlichkeit des Meeres samt möglichen transzendenten Implikationen konfrontieren, führt Hofmann die Rätselhaftigkeit des rein Irdischen vor. Die entstehende Unendlichkeit bleibt immanent und überschreitet nur innerweltlich die alltäglichen Begrenzungen.

 

Der große portugiesische Autor Fernando Pessoa hat in einem Gedicht gesagt, es entstehe bei Reisen über den Ozean das Gefühl, „als brächte ein Meergeheimnis unsere Seelen näher zusammen und machte uns vorübergehend zu Landsleuten des gleichen unsicheren Vaterlands.“

 

Man könnte Hans-Georg Hofmann einen Patrioten dieses unsicheren Vaterlandes nennen. Die Beharrlichkeit, mit der er sich mit dem Element des großen Wassers beschäftigt, beeindruckt gerade in einer Zeit des allgemeinen Zappens und Zappelns. Seine Arbeitsweise beschreibend gibt Hans-Georg Hofmann zu Protokoll: „Ich beobachte zunächst sehr lange, mit hoher Konzentration. Dieses lange und intensive Beobachten und Erleben ist die wichtigste Grundlage meiner Malerei.“ Vor Ort entstehen Skizzen; wie das geschieht, kann man nicht besser beschreiben als mit den Worten des Künstlers selbst: „Gelingt die Bewegung ohne Beteiligung des Willens, wird sie sicher. Die Hand folgt dann den Formgesetzen der Natur. Die Hand hat geübt, jahrzehntelang, sie weiß Bescheid. Ich darf sie nur nicht stören.“

 

(...) Wer die hier ausgestellten Bilder aus der Nähe betrachtet, kann erkennen, dass sie nicht gemalte Fotoabzüge sind, sondern dass ihre Feinstrukturen vom Maler selbst im Prozess des Malens generiert werden. Aus dem tiefen, sich in die Wellen buchstäblich versenkenden Betrachten wächst die Fähigkeit einer schöpferischen Wiedergeburt des Gesehenen. Aus der Nähe glaubt man oft Fadenstrukturen zu erkennen, feinste Gespinste, die man bei einer realen Welle vergeblich sucht. Diese Beobachtung ließe sich zu der Frage verschärfen, ob das, was auf denn Bildern gezeigt wird, überhaupt das Meer sei.

 

Mit Ideen der modernen Kunst wäre es doch immerhin vereinbar, das Meer als Generator dreidimensionaler abstrakter Kunstwerke zu betrachten. Gegenstand der Hofmannschen Bilder wäre dann gar keine konkrete Welle, gar kein konkreter Teil des Meeres, sondern vielmehr eine durch das Meer geschaffene abstrakte ästhetische Ordnung, die Bilder wären demnach figurative Abbilder abstrakter Strukturen. (...)

 

In diesem Zusammenhang erscheint die Frage aufschlussreich, warum Hans-Georg Hofmann häufig dem zunächst scheinbar gegenständlichen Bild eine monochrome Farbfläche zur Seite stellt. Sie lässt sich wohl als Hinweis auf die auch im Gegenständlichen schlummernde Tendenz zum Abstrakten verstehen, während diese monochrome Fläche ihrerseits vom benachbarten Gegenständlichen in Frage gestellt wird. So macht die Maserung der Wellen im gegenständlichen Teil das Auge aufmerksam auf die Wellen der Maserung im monochromen.

 

Dabei wird bewusst, dass die monochrome Fläche eben auch gemalt ist, nebenbei wird damit kunstgeschichtlich die Idee des Monochromen und der absoluten Farbe zur Diskussion gestellt. Das See-Stück verliert die ihm vielleicht anfangs unterstellte Naivität. So gewinnen diese Bilder, so richtig es auch sein mag, dass mancher Betrachter das Rauschen der Wellen zu vernehmen oder den Geruch des Meeres zu schmecken glaubt, einen philosophischen Aspekt – trotz ihrer Sinnlichkeit, die natürlich unbestritten ist. (...)

 

 

Hans-Jürgen Herschel

 

aus der Rede zur Ausstellungseröffnung

 

Hans-Georg Hofmann

 

ATLANTIK – Das Madeira-Projekt

 

Speyer 2010