Schwebend, nebulös kommen die Frauengestalten in Inga Arus Bildern daher. Sie sind wie Nymphen oder Feen, aus einer anderen Welt, hingehaucht – sie entziehen sich immer wieder unserem Zugriff. Gleichzeitig eröffnen sie uns immer neue Bildebenen. Um die Gemälde zu enträtseln, oder uns auf die richtige Spur zu setzen, helfen uns die von Inga Aru mit Bedacht gewählten Bildtitel. So wählte sie für die „Herrscherin“ königliche Farben, die sich zu dem Purpur der Könige vermischen und lässt ihre Figur lasziv liegend auf einer Chaiselongue ruhen.

Beim flüchtigen Betrachten entsteht ein Déjà-vu, das uns in den Bann zieht und uns genauer hinsehen lässt. Haben wir alle Hin­weise entschlüsselt?

Dieses „schon einmal gesehen“ überfällt den Betrachter des Diptychons „Follow“  – sofort entsteht die Assoziation zu einem Gemälde des ausgehenden 16. Jahrhunderts, das heute im Louvre präsentiert wird. Es zeigt das Portrait der Gabrielle d’Estrées und einer ihrer Schwestern, der Duchesse de Villars. Der Maler ist unbekannt, es wird jedoch der 2. Schule von Fontainebleau zugeordnet und verbindet in der Bildsprache und Bildkomposition Elemente der italienischen Renaissance-Malerei mit denen der flämischen Malerei.

Inga Aru interpretiert die Szenerie neu. Ihre beiden Frauen können ebenfalls in einer steinernen Wanne sitzen, es könnte jedoch auch eine Art Tafel sein, an der sie sitzen. Die Körperhaltung beider entspricht dem Gemälde aus dem Louvre, wenn auch auf die auffällige Geste – Griff der linken Frau an die Brustwarze der anderen – verzichtet wird und der Arm nicht mehr sichtbar ist. Ebenso ist in der linken Hand der rechten Dame kein Ring erkennbar, wenngleich die Handhaltungen aller sichtbaren Hände bis in die Fingerspitzen Entsprechungen des Originals sind. Der Bildhintergrund unterscheidet sich gänzlich. Wurde im Gemälde des 16. Jahrhunderts noch weiter verwiesen auf eine mögliche Schwangerschaft und ein Hinweis auf die mögliche Vaterschaft gegeben, verzichtet Inga Aru konsequent auf diese Anspielungen.

In ihrer Interpretation ist kein Hinweis auf Schwangerschaft und Eheversprechen zu ent­decken. Vielleicht liegt es daran, dass diese Werte in unserer Zeit an Wichtigkeit verloren haben. Geht man jedoch davon aus, dass Inga Aru im Hintergrund eine zentrale Aussage für die Entschlüsselung dieses Bildes verbirgt, werden wir von alltäglichen Accessoires überrascht. Im Hintergrund stehen einige Fläschchen und Dosen, scheinbar schwebend, möglicherweise auf einem angedeuteten Bord oder einer Ablage – Hinweise auf einen Wellness-Bereich? Doch was sollen die senkrechten Linien bedeuten? Eine Vertäfelung des Bades mit einem Spiegel oder Fenster auf der rechten Bildseite?

Frühere Werte wie Schwangerschaft und Ehe weichen vielleicht dem Wellness- und Schönheitswahn der Gegenwart und ­„Follow“ lässt uns überdenken, wem oder was wir eigentlich folgen. Auf jeden Fall sind die geheimnisvollen Gesten und Zeichen, die auf einen tieferen Zusammenhang hinweisen, nicht mehr so eindeutig von uns lesbar. Auch dies ist ein schöner Querverweis auf das Gemälde aus dem Louvre, das trotz vermeintlich eindeutigerer Ikonographie bis heute ebenfalls seine Rätsel behalten hat. So überlässt uns Inga Aru wieder unseren eigenen Interpretationen und der emotionalen Auseinandersetzung mit Ihren Gemälden. Denn vielleicht sind wir bei „Follow“ auch nur einem Trugbild aufgesessen und die vermeintliche Ähnlichkeit zu dem Gemälde aus dem 16. Jahrhundert ist nur eine Zufälligkeit.

Die Frauengestalten in Inga Arus Werk sind geprägt von Anmut und Grazie, sie weisen uns einen Weg in eine traumhafte, mysteriöse Welt, sind alleine und vereinzelt. Sie scheinen sich ganz auf sich selbst und ihre Inszenierung zu konzentrieren. Diese Kon­zentration ringen sie jedoch auch dem Betrachter ab – und so gibt es immer etwas Neues, Vertiefendes zu entdecken, und die scheinbare Flüchtigkeit lehrt uns, genauer hinzusehen.

Sabrina Buchholz